Total gestört: Was Erasmus mit mir gemacht hat

calle corona dos

Ich habe sie alle müde belächelt. Die Schilderungen, dass jeder, der diese Stadt verlässt, weinen muss, die Schwärmereien vom entspannten und lebensbejahenden Lebensstil, die Facebook-Fotos, die alle wie Stills aus L’auberge espagnole aussahen.

Ich war abgeklärt. Hah, dachte ich mir, das kann mir nicht passieren, ich weiß ja, wohin der kommerzialisierte Erasmus-Hase läuft. Trotzdem musste ich mir nach nur wenigen Tagen in Valencia eingestehen, dass Strand, frischer Orangensaft und die caña am Abend wesentliche Bestandteile des mediterranen Lebensstils darstellen. Vielleicht war es am Ende nicht der Sommer, sondern der Winter meines Lebens: Ein Winter, in dem ich einmal die Sonne sah. Ein Winter, in dem ich merkte, dass nicht immer alles so sein muss, wie es ist.

Ein tiefes Loch wartet da auf dich nach deinem Aufenthalt, sagten sie. Du wirst es vermissen. Ich lächelte wieder müde and dachte an das doofe Video auf meiner Facebook-Timeline, in dem ein junger Italiener beklagt, dass er sich nun nicht mehr jeden Abend besaufen kann.

erasmus-1
M. war Medizinstudentin, ansteckend laut und immer in Bewegung.

my clothes without me

Zwei Jahre später zog ich nach Dijon. Es war grau, kalt und nass, den Nebel nannten wir „Mordor“. Um der Einöde meines kleines Zimmers zu entkommen, buchte ich eine Zugfahrt nach Marseille, wo eine meiner besten Erasmus-Freundinnen lebte. Es regnete auch dort. Aber als wir dort durch das von (EU-Geldern-finanzierte) Museum über das mediterrane Leben liefen, verstand ich endlich, warum meine Freundin sich in Valencia so wohl gefühlt hatte: Weil sie als gebürtige Marseillerin den Lebensstil der la mediterranée schon in sich trug. Und vielleicht war dies auch einer der Gründe, warum ihr offenes Wesen mir so schnell ans Herz gewachsen war. Als ich aus Marseille zurückkehrte, konnte ich mit dem palmenlosen Dijon nur noch weniger anfangen.

erasmus-2
Das Gefühl des Fallens finde ich furchtbar. Gesprungen bin ich trotzdem, in einem genauso furchtbaren, geblümten Bikini.

imm006_4A

Ohne Titel
Fanta limón und ein bocadillo (nicht im Bild): Die beste Kombination des Mittelmeers.

Drei Jahre später ziehe ich nach Bremen. Auch in meiner neuen Wahl-Heimat ist es grau und nebelig, aber die Schmuddeligkeit steht Bremen um einiges besser als dem möchtegern-pittoresken Dijon. Aber kaum angekommen, Umzugskisten noch nicht ausgepackt, da fange ich auch schon wieder an, bekloppte Pläne auszuhecken, wie ich meinen Lebensmittelpunkt am schnellsten wieder ans Mittelmeer verlegen kann. Du wirst es vermissen, sagten sie. Es ist ein bisschen wie Liebeskummer, der sich auch nach drei Jahren nicht legt. Und ich bin nur noch ein weiterer von diesen Erasmus-Spinnern geworden, die ich so müde belächelt hatte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert