Heimweh stopfen

alltagssocken
Alltagssocken.

Ich mag es nicht, dass die Bloggerwelt oft alles Eckige, Raue glättet, aufhübscht und die Kanten verwischt, dass meist nur vom Schönen, dem Besonderen, dem Moment und dem Lächeln gesprochen wird; aber trotzdem mache ich es doch meist genauso. Kein Platz im Netz für traurige Gedanken oder die dunklen Momente.

Nach Weihnachten hatte ich so einen dunklen Moment. Als ich um 6 Uhr morgens aus dem Fernbus stieg, lag tiefster Nebel über den Straßen. In den nächsten Tagen war die Stadt unter einer grauen Wolkendecke verschwunden, Regen gehört zu dieser Stadt wie der tägliche Gang zur boulangerie und obwohl ich mich mittlerweile an beides gewöhnt habe, werde ich ersteren doch nie mögen können. Trotz Thermo-Unterwäsche im Koffer und warmen (und bequemen!) Winterstiefeln an meinen Füßen, die mich durch die langen Abende an der Empfangstheke des Kunstvereins bringen sollten, hätte ich meinen Aufenthalt in der Heimat am liebsten noch um das Doppelte verlängert. Weil ich mich so nach etwas Warmen, Weichem sehnte, das mein Heimweh stopfen könnte, schwänzte ich kurzerhand meinen Sprachkurs, packte meine Stricknadeln ein und verschwand ins Caf&Co (das wohl sympathische Café in Dijon und längst ein deutscher Treffpunkt), um dort abends um sechs in einer Runde talentierter, französischer Damen Maschen à l’envers und à l’endroit zu stricken, Wollknäuel und fertige Projekte zu bewundern, heiße Fairtrade-Schokolade zu trinken und meine Seele zu balsamieren.

Ich habe schon oft über das Stricken geschrieben, auch wenn die Worte meist nicht den Weg in diesen Blog gefunden haben. Vielleicht sind Worte auch schlicht nicht ausreichend, um dass zu veranschaulichen, was Faden und Nadeln in meinen Händen mit mir auslösen. Ausgerechnet habe ich, dass ich jetzt schon mehr als die Hälfte meines Lebens stricke – mit größeren und kleineren Unterbrechungen. Mein Strickzeug wurde zum besten Freund, als ich zu Hause auszog, mich plötzlich in der Kunsthochschulwelt zurechtfinden musste und etwas brauchte, um meinen Kopf nach einem langen Tag zu beruhigen. In einer Runde spanischer, schwatzender Modemädchen lernte ich während meines Erasmus-Aufenthaltes in Valencia, die Wolle in der rechten statt der linken Hand zu halten und notierte anschließend alle muestras mit den so anders klingenden Namen wie bobo oder garbanzo einem Heftchen. Melis’ Großmutter zeigte mir in Instanbul, welche Fehler ich beim Häkeln machte – und dass, obwohl weder sie noch ich ein Wort der anderen Sprache beherrschte. Kurzum, jedes Mal, wenn ich unterwegs bin und meine Seele herumflattert, wartet mein Strickzeug umso geduldiger auf mich und eröffnet mir auch in anderen Kulturkreisen Einblicke. Und ich bin dankbar, dass meine Großmutter damals Geduld mit dem Mädchen hatte, welches auf einmal unbedingt rechte und linke Maschen lernen wollte.

Kommentare 2

  1. Anneli 21. Februar 2015

    Liebe Nina,
    ich hätte zuerst nachschauen sollen, ob Du auch einen Blog hast. Du schreibst sehr schön und anschaulich. Es stimmt, dass die Nachrichten und Beiträge in der Bloggerszene meistens positv und auch lustig sind, aber nicht immer. Doch wenn jemand mal den Mut hat, Schäche zu zeigen oder über ein Problem zu sprechen, kann er mit viel Zuspruch rechnen. Es freut mich, dass das Stricken für Dich ein Seelentröster ist. Ich stricke auch sehr gern und bin genauso wie Du dankbar, dass es mir beigebracht wurde.
    Liebe Grüße,
    Anneli

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