Der Franzose steckt im Detail

Schwarze Schirmchen in Paris
Die Französin zeigt ihre Funktionsjacke nicht der Öffentlichkeit – und spannt stattdessen ihr schwarzes Schirmchen auf.

Aus der Kategorie #laterblog. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass der Stil der Französinnen nicht einer der vielen Gründe war, dort einmal leben zu wollen. Für Möchtegern-Französinnen gibt es ein ganzes Regalbrett voller Ratgeber, die einem näherbringen wollen, wie man sich denn jetzt endlich parisien benehmen und kleiden kann. Viel Mumpitz ist da dabei – das stellte auch die wortgewandte Claire in einem Artikel kürzlich fest – vor allem beziehen sich diese seltsamen Lektüren dabei wirklich ausschließlich auf Pariserinnen. Aber das immer noch ist Paris, und was ist da mit der Provinz, zu der ja in Frankreich eigentlich alles zählt, was nicht Paris ist?

Ziehen sich die Franzosen wirklich besser an als die Deutschen? Nein, urteilte ich vorschnell in diesem Post. Sorgfältige Studien als Aufsicht in einem französischen Kunstverein ergaben einen neuen Blickwinkel auf diese Beobachtung, denn natürlich ziehen sich auch die Franzosen aus der Provinz besser an. Oder sagen wir mal so: Sie vermitteln einem zumindest das Gefühl, modebewusster zu sein. Wenn dort schon aus Bequemlichkeit Trekkingschuhe angezogen wurden, dann zu Chaneltasche und Seidentuch. Junge Frauen präsentierten schwarze Stiefel und Bundfaltenhose zu beigem Wollmantel und natürlich rotem Lippenstift, die Herren aller Altersspannen trugen auch zum Museumsbesuch Schiebermützen (und mitunter sogar geflochtene Strohhandtaschen). Funktionsjacken habe ich vergeblich gesucht, dafür waren sogar die Nähte der Regenschirme farbig abgesetzt. Schwarze Ledertaschen hatten ein rotes Innenfutter, und die Schülerin, die sichtlich keine Lust auf meine Erklärungen zu John Armleders Werken hatte, trug einen farbenfrohen Kaftan zum Seidenturban.

Sitzt alles?
Auch die Herren aller Altersklassen achteten auf ein gepflegtes Aussehen beim Flanieren durch den Kunstverein

Jetzt wirft der Kritiker ein: Klar, das ist ein Kunstverein, wo sich das intellektuelle Bildungsbürgertum tummelt, was ist mit dem Rest des Landes? Aber auch auf der Straße habe ich Damen gesehen, die älter waren als meine Mutter und deren Lederschuhe ich trotzdem gerne angezogen hätte. Männer, die durchaus bodenständigere Berufe hatten, trugen marinières, in denen jeder (Picasso eingeschlossen) irgendwie gut aussieht. Es ist das Detail, das in Frankreich ein wesentlich höheren Stellenwert hat als in Deutschland – und der Blick aufs Detail fängt mit gutem Schuhwerk an. Selbst die Kollegin, die immer verschlafen und ungekämmt zur Arbeit erschien, trug gold abgesetzte schwarze Stiefelchen. In Deutschland kann man in einer mittelgroßen Stadt in zehn Schuhläden gehen und findet vielleicht ein passables Paar schwarzer Lederschuhe. In Frankreich kann man in einer mittelgroßen Stadt in einen Schuhladen gehen und findet zehn überaus passable Paare. Ich machte nach solchen, einschlägigen Erfahrungen in diesen Geschäften einen großen Bogen um ebendiese, weil sie eine zu große Gefahr für mein bescheidenes Freiwilligengehalt darstellten.

Am Ende meines Aufenthaltes riefen mir Deutsche zu: Oh, du siehst aber französisch aus! Ehrlich gesagt wusste ich da schon wirklich nicht mehr, ob ich mich darüber nun noch freuen sollte. Denn französisch gekleidet zu sein hieß in neunzig Prozent der Fälle auch ziemlich farblos gekleidet zu sein. Meine Kolleginnen kamen, ob nun Anfang 20 oder fast 50, fast schon uniformiert zur Arbeit, in skinny jeans zu Chelsea boots oder Halbschuhen und Seidenhemd, zur Vernissage dann ebenso fast uniformiert mit Kleidchen und Lippenstift. Ich war schon am Anfang meines Freiwilligendienstes ähnlich gekleidet, und am Ende noch ein bisschen mehr – was auch meinem überschaubaren Kleiderschrank, pardon, Koffer, geschuldet war, in welchem viele Stücke einfach nur besonders vielfältig kombinierbar sein mussten. Es gab Morgen, da hätte ich alles getan, um nicht in blau, grau oder schwarz aus dem Haus gehen zu müssen, sehnte mich nach roten Sommerkleidern und bunten Mänteln. Zurück in Deutschland sah ich am Essener Hauptbahnhof eine Frau am Ende des Bahnsteigs stehen: In grüner Hose, grünem Oberteil und roten, nicht gerade elegant, aber sehr gesund aussehenden Lederschuhen. Ein Farbfleck am grauen Bahnhofssteig. Ich lächelte zufrieden.

Abbildungen Gustave Caillebotte: Straße in Paris an einem regnerischen Tag; Auguste Renoir: Porträt Charles und Georges Durand-Ruel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert